Zuversichtlich am Filmset als Hygienebeauftragter

Abenteuer beginnen in der Regel ziemlich unvermittelt. So ging es uns allen vermutlich in den letzten knapp sieben Monaten mit Corona. Womit ich auch schon beim erweiterten Thema dieses Beitrags gelandet bin: ein Virus, das die gesamte Welt, und damit auch die Filmwelt, auf den Kopf stellt. Geht es aber wirklich um ein Virus oder vielleicht doch grundlegend um etwas ganz anderes? Und wie lange ist das schon so?

Virus versus Hygiene

Wir schreiben das Jahr 2020. Smartphones sind allgegenwärtig, die Übertragungstechnik 5G ist auf dem Sprung zur vollen Entfaltung, Virtual Reality gehört bereits voll dazu, Netflix füllt alle Lücken, wir bestellen uns alles für den nächsten Tag frei Haus und haben für alles ein Mittel, ein Spray, eine Pille oder ein Pflaster. Doch ist das wirklich so?

All diese Optionen und Innovationen lenken die Menschen neben positiven Effekten und Möglichkeiten aber auch immer weiter von sich selbst ab. Dennoch habe ich den Eindruck, dieses Maß an Möglichkeiten führt nicht nur zur Bequemlichkeit, sondern immer mehr auch zu Desinteresse und Schulterzucken, verbunden mit einer Erwartungshaltung an andere und den Staat, die das ziemliche Gegenteil von Eigenverantwortung und Ausübung von Freiheitsrechten darstellt. Eine mitschwingende Haltung und Reaktion auf die COVID-19-Pandemie und speziell die einhergehende Maskenpflicht scheint immer noch zu sein:

„Gibt’s dafür keine App?!“

Was ist Hygiene?

Hy|gi|e|ne 〈f.; –; unz.〉Gesamtheit aller Bestrebungen u. Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten u. Gesundheitsschäden, GesundheitslehreGesundheitspflege[< grch. hygieinos »heilsam, der Gesundheit zuträglich«; zu hygies »gesund«]

Das Wort Hygiene stammt aus dem Griechischen: ὑγιεινή [τέχνη] hygieinḗ [téchnē] bedeutet „der Gesundheit dienende [Kunst]“. Es ist von ὑγίεια hygíeia „Gesundheit“ abgeleitet – dem Wort, mit dem auch die griechische Göttin der GesundheitHygieia, bezeichnet wird.

Ein Anruf Anfang Juli

Zurück zum Abenteuer und hier wird es dann noch deutlicher, wenn die Dinge nicht allein persönlich, sondern darüber hinaus auch professionell gehandhabt werden müssen…

Anfang Juli sprach mich Jörg Kunkel von moving story productions an, ob ich mir vorstellen könne, für die mit dem SWR koproduzierte Dokumentation über die Rastatter Prozesse den Job des Hygienbeauftragten zu übernehmen. Ich kenne Jörg aus der früheren gemeinsamen Bürogemeinschaft in der Agentur von gemeinsam werben hier in Hamburg. Voraussetzung sei die Zertifizierung durch die DEKRA als Hygienebeauftragter für Film-, Fernseh- und Fotoproduktionen.

Ich musste nicht lange überlegen. Mein Gedanke war: ich habe 15 Jahre Erfahrung mit Veranstaltungsorganisation, bin flexibel, interessiere mich seit jeher für Filme und kann ganz gut mit Menschen umgehen. Warum soll ich das also nicht hinbekommen?

Herausforderungen

Die Herausforderung bestand vor allem in der Neuartigkeit der Situation und damit auch im Umgang mit Themen wie Planung, Budget, Kalkulation, Produktmengen sowie menschlichen Emotionen wie Unsicherheit, Zweifel, Ablehnung, Sturheit oder gar Angst.

Als noch größere Herausforderung stellte sich dann die Erstellung des erforderlichen Hygieneplans dar. Es gab dafür kaum Blaupausen. Von Seiten der DEKRA hieß es: „Ein moderner Hygieneplan zeichnet sich durch eine Zusammenstellung von einzelnen, kurzen und aktualisierbaren Einzeldokumenten aus.“ Eine Mustervorlage sei in Arbeit und werde den Kursteilnehmern bei Fertigstellung automatisch per E-Mail zugeschickt.

Letztlich habe ich wie erwartet den Plan in kompletter Eigenregie erstellt. Hauptaugenmerk lag dabei auf den individuellen Anforderungen an die gesamte Produktion und einzelne hygienische Hürden, die sich automatisch aus Drehplan und Drehorten ergeben haben. Der eigentliche Hygieneplan bestand letztlich aus einem Dutzend Seiten plus gut 100 Seiten Anhang. Letzterer beinhaltete neben unseren individuellen Hygienemaßnahmen für jedes beteiligte Gewerk zum Beispiel auch die allgemeinen Hinweise der zuständigen Berufsgenossenschaft (BGETEM).

Zeit, Geld und Gesundheit

Da wir hauptsächlich im Rastatter Schloss gedreht haben, bestand von Tag eins an eine enge Zusammenarbeit mit der dortigen Schlossverwaltung, auf deren eigenem Hygieneplan unser Konzept basierte. Besondere Herausforderungen vor Ort waren dann die sog. konservatorischen Aspekte, denen man beim Dreh in einem historischen Gebäude automatisch begegnet. Dies schloss von Beginn an den Einsatz von Klimanlagen oder ähnlichem technischen Gerät aus, da die Luftfeuchtigkeit im Ahnensaal gestiegen wäre und die Substanz des Raumes angegriffen hätte. Und so weiter. Wie gesagt, ein Abenteuer von Tag eins an. Letzterer begann nicht mit dem Produktionsbeginn vor Ort am 19. August, sondern bereits wie geschildert in der Vorbereitung, in der im Wesentlichen der Grundstein für den Erfolg der ganzen Unternehmung gelegt werden musste.

Zur Einordnung: es gab keinen dritten Schuss mehr, das heißt konkret: der Dreh musste nach der Verschiebung von Frühjahr auf Sommer im August über die Bühne gehen, sonst waren ziemlich viel Arbeit und Geld in den Sand gesetzt. Der übliche Zeit- und Budgetdruck war also noch einmal deutlich und spürbar gesteigert und speziell der Faktor Zeit war bis zum ersten Drehtag eine Black Box, denn niemand konnte vorhersagen, inwieweit und in welchem Umfang die Hygienemaßnahmen einen zeitlichen Verzug bedeuten würden. Das machte mich zugegebenermaßen leicht unruhig. Dennoch blieb ich von Anfang an sehr zuversichtlich. Das hatte ich mir von Beginn an so verordnet und eingeübt. Ansonsten hätte ich das Ganze gleich sein lassen können.

Kennen Sie den Unterschied zwischen Hoffnung und Zuversicht?

Hoffnung bezieht sich auf externe Ereignisse, Einflüsse und Handlungen, die ich wenig bis gar nicht beeinflussen kann. Zuversicht hingegen ist etwas, was im eigenen Bereich verankert ist, etwas, was ich selbst in die Hand nehme, beeinflussen und lenken kann.

Daraus ergibt sich, auch wenn die Hoffnung zu Recht zuletzt stirbt, folgende äußerst wertvolle Einstellung und Haltung: die Hoffnung fahren lassen, damit Zuversicht einkehren kann.

Was habe ich über Hygiene und Viren gelernt?

Zu Beginn des DEKRA-Zertifizierungskurses gab es zwei didaktisch wertvolle Themenblöcke: zum einen die Unterscheidung zwischen Viren und Bakterien und zum anderen das Thema Hygiene an sich, insbesondere einen Blick auf die Geschichte der Händehygiene. Deren Erfinder Ignaz Semmelweiss bezeichnenderweise erst posthum Anerkennung erfuhr. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie dieser Mann, der damals schon vom Hof gejagt wurde, heute mit öffentlichen Anfeindungen umgehen würde.

Die soziale Komponente von hygienebedingten Einschränkungen wird in ihrer grundlegenden Bedeutung immer wieder von neuem vernachlässigt. Menschen sind soziale Wesen und das beginnt bereits mit Kontakt, Begegnungen und entsprechendem Händeschütteln. Kontaktbeschränkungen, abnehmende Nähe bis hin zu Isolation sind pures Gift für das menschliche Gemüt. Und schnell taucht die Frage nach dem größeren und dem kleineren Übel auf. Vieles davon ist wie oft ein Frage der Verhältnismäßigkeit. Der Zweck rechtfertigt in der Regel aber nicht die Mittel und beim Versuch ökonomische Interessen gegen gesundheitliche abzuwägen scheitern pauschale Lösungen und zeigen speziell ein ungeschminktes Bild der jahrelang vorangetriebenen Realität: ein Gesundheitssystem, das ausgehöhlt wurde und dennoch immer noch in Europa die oberen Ränge belegt. Das lässt im Übrigen auch tief blicken im Hinblick auf eine echte europäische Gemeinschaft jenseits von politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Vorbilder, die keine sind

Sehr bewusst wurde mir auch, dass viele handelnde Personen in Ämtern und Funktionen das Thema Hygiene überhaupt nicht richtig erfasst und das Thema Virus gleichzeitig so behandelt haben, als ob es zuvor auf unserem Planeten oder in unserem Leben keine Viren gegeben hätte. Eine krude Mischung aus Ignoranz, Unwissenheit, Hybris, Verkaufsstrategien, mangelnder Haltung und vor allem fehlenden Verständnis von Wissenschaft und damit einhergehenden Prozessen.

So entstehen zwangsläufig unnötig zusätzliche Widersprüche in Konzepten und Unsicherheit in der Bevölkerung. Hinzu kommen zwei wesentliche Aspekte: 1.) Einzelne Hinweise und Maßgaben zum Umgang mit der Gefährdungslage sind in der Regel vernünftig und angemessen gewesen, in der Gesamtheit aber entsprechend dem normalen Leben auch mitunter sehr widersprüchlich. Und 2.) das Problem der kommunikativen Begleitung der Situation national und international, von einer Kakophonie möchte ich lieber nicht sprechen, wird durch das zeitgeistige Problem der zu vielen Sender (vor allem aufgrund massenhafter Social Media-Kanäle) weiter verschärft und teilweise ad absurdum geführt.

Feine Pinkel

Das Verhalten international agierender Amtsträger wie Trump und Bolsonaro hat neben entsprechenden Infektions- und leider auch Todeszahlen auch zur Offenbarung gänzlicher Unkenntnis über globale Zusammenhänge und vor allem Grundkenntnisse über Wesen und Umsetzung von Hygiene geführt. Was sich im Übrigen auch mit meiner immer wieder im bis dahin „normalen“ Leben beobachteten Haltung von Menschen deckt: je vornehmer und scheinbar besser gestellter die Herren im feinen Zwirn sich wägen, desto weniger waschen sie sich nach dem Toilettengang die Hände. Gruselig, was ich in diesem Bereich auf Veranstaltungen, in Hotels und bei anderen Anlässen mit ansehen musste. Damals hätte sich mir unsere heute gezwungenermaßen unterdrückte Sozialhandlung des Sich-die Hand-Geben wie eine Verheißung dargestellt…

Abgesehen davon, dass uns das Corona-Virus einen global-gesellschaftlichen Spiegel vorhält, zeigen sich vor allem auch eine Hybris und ein Irrglaube innerhalb moderner, scheinbar zivilisierter Gesellschaften und bei Menschen im 21. Jahrhundert: Vorstellungen von und Glaube an Kontrolle über Krankheiten oder gar die Beherrschung der Natur kommen ja nicht nur in der Ressourcenausbeutung und -verschwendung auf unserem Planeten zum Ausdruck, sondern auch in teils abstruser Technikanbetung und keimfreien Vorstellungen, deren Haltungen über die entsprechenden Menschen vor allem Bequemlichkeit, Unwissenheit und Ignoranz zum Vorschein bringen.

Man lernt immer etwas dazu

Man muss leider davon ausgehen, dass zu viele Menschen nicht in der Lage sind, Viren und Bakterien voneinander zu unterscheiden. In der Folge dürften viele von ihnen schockiert über den Umstand sein, wie viele Bakterien ihren Darm bevölkern, um dort überlebensnotwendige Aufgaben zu erfüllen. Geisteshaltungen, die diese Ignoranz, Wunschvorstellungen und Allmachtsphantasien zur Schau stellen, werden täglich durch die (sozialen) Medien getrieben und propagiert. Es dürfte dabei schwierig werden, sich zu speziellen Themen qualifiziert einzulassen, wenn bereits beim Grundverständnis eine Wissenswüste vorherrscht.

Es heißt nicht durch Zufall: man lernt nie aus. Sowohl durch den Zertifikatskurs, als auch vor allem die praktische Umsetzung vor, während und auch nach der Filmproduktion habe ich nicht nur Neues über Hygiene, sondern auch vor allem über den Umgang miteinander und mit Vorbehalten gelernt. Für all das bin ich sehr dankbar!

Max Lüscher hat es oft betont und seine Aussage bleibt aktueller denn je: Seit jeher haben der Mensch und die Gesellschaft vor allem eins gebraucht, gute Lehrer. Lüscher bezog sich dabei auf den Arzt und Philosophen Paul Dahlke (1856–1928). Dieser schrieb:

Von jeher hat die Welt nicht der sogenannten großen Männer bedurft, sondern der Lehrer, und von jeher ist für den Denkenden die größte Tat nicht Sieg und Eroberung, nicht Entdeckung und Erfindung gewesen, nicht Meisterung der Welt, sondern Meisterung seiner selbst.

Wider die zeitgeistige Schizophrenie

Ich wünsche uns allen wieder mehr Lernbereitschaft und mehr Ausbrüche aus der (technischen) Bequemlichkeit. Sonst werden die gesellschaftlichen Schizophrenien weiter zunehmen. Oder wollen Sie weiter begeistert Netflix schauen und gleichzeitig über das Aussterben der Kinokultur klagen? Pausenlos bei Amazon bestellen und die Uniformität von Innenstädten und das Verschwinden von kleinen Läden in Ihrem Wohnviertel beklagen? Alles ohne Aufpreis oder Trinkgeld vom Paket- oder Lieferdienst direkt ins Haus geliefert bekommen und gleichzeitig Mindestlohn fordern?

Nehmen Sie Ihr Leben in die Hand und verlassen Sie sich nicht allein auf andere oder den Staat. Seien Sie zuversichtlich!

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